„Das schlechteste Pensionssystem Europas“
(kunid) Dazu kommt, dass die unterschiedlichen Pensionssysteme eine Gefahr für das wirtschaftliche Gleichgewicht am Kontinent darstellen. Gerade die Finanzbranche ist in der Pflicht, sich um die finanzielle Gesundheit der Menschen zu kümmern, so der frühere Chef der Erste Group Andreas Treichl.
Es ist nötig, Altersvorsorge in Europa neu zu denken, erklärte Andreas Treichl, ehemaliger CEO der Erste Group und Präsident des Europäischen Forums Alpbach, beim Asscompact-Trendtag.
Es geht dabei um die nach der persönlichen Gesundheit zweitwichtigste Sache im Leben der Menschen: die finanzielle Gesundheit. Aber die Politik kümmert sich nicht nur nicht um diese finanzielle Gesundheit, sondern macht Dinge, die diese massiv beeinträchtigen.
Europa verliert
Europa befindet sich derzeit „auf dem Weg nach unten“ und wird zum „Vergnügungspark“, so Treichl. Man schafft es nicht, etwas aufzubauen – dabei hat man es in der Vergangenheit schon anders gekonnt.
1945 war Europa kaputt – fünfzig Jahre später, im Jahr 1995, größter Exporteur, größter Binnenmarkt und sozial ausgeglichen. Allerdings war Europa 1995 auch energieabhängig und konnte sich nicht selbst verteidigen.
Diese Defizite bestehen auch heute noch, aber Europa ist nicht mehr der wohlhabendste Kontinent und auch nicht mehr größter Exporteur: „Die Stärke, die wir in fünfzig Jahren aufgebaut haben, haben wir in 30 Jahren verspielt“, so Treichl.
Dennoch ist dies keine Katastrophe. Wir können wieder schaffen, was wir nach 1945 geschafft haben, zeigt sich der frühere Erste-Group-Chef optimistisch.
Fehlende Kapitalmarkttkultur
Als Hauptübel für diese Entwicklung identifiziert Treichl die extrem untergeordnete Rolle des Kapitalmarkts in Europa. Amerika ist nicht so viel besser als Europa, besitzt aber einen riesig großen, erfolgreichen Kapitalmarkt.
Europa verfügt über gute Unternehmen und einen hohen Stand der Wissenschaft, aber nicht über einen großen, liquiden Kapitalmarkt. Das ist der Grund, warum alle Industrien hinter andere Kontinente zurückgefallen sind.
Treichl sieht hier auch die Finanzwirtschaft in der Pflicht: „Wir sind Teil eines Systems, das dafür sorgen muss, dass Menschen sich Wohlstand erarbeiten können.“ Um politischen Einfluss geltend machen zu können, ist aber ein „unantastbarer Ruf“ nötig.
Und weiter: „Also müssen wir Druck machen, gemeinsam für das Ganze. Wir brauchen einen stärkeren Kapitalmarkt.“ Das ist die Grundvoraussetzung dafür, dass Europa wieder zur Wirtschaftsmacht wird.
Ein schlechtes System
Die Pensionssysteme in Europa sind sehr unterschiedlich, betont Treichl. Dies ist eine Gefahr für die Entwicklung des Wohlstandes und für den wirtschaftlichen Zusammenhalt in Europa. Für eine Diskussion darüber eignet sich Österreich „perfekt“.
Denn Österreich besitze, so Treichl, das „schlechteste Pensionssystem in Europa“. Das kapitalgedeckte Pensionssystem verfügt hierzulande bei neun Millionen Einwohnern über ein Vermögen von 25 Milliarden Euro oder 7 % des Bruttoinlandsprodukts (BIP).
In Dänemark mit seinen 5,5 Millionen Menschen beträgt dieses Vermögen 700 Milliarden Euro: „In einem guten Jahr ist der Ertrag des dänischen Pensionssystems so hoch wie das gesamte Volumen in Österreich.“
Das bedeutet, dass der Jugend in Dänemark ein Vermögen zur Verfügung steht, aus dem sie eine Pension erhalten kann, „ohne dass ein Steuersubjekt dafür etwas zahlen muss!“
Langfristiges Denken nötig
Ein weiteres Problem in Österreich ist die Kapitalgarantie, weshalb das System nicht profitabel arbeiten kann. Treichl: „Wir wissen seit Jahren, dass das saudumm ist, bekommen es aber nicht weg.“
Man lässt es sich hierzulande gefallen, „dass die Politik Regeln aufsetzt, die das Vermögen der Österreicher vernichten“, so Treichl. Deshalb sei es nötig, das System zu ändern, damit es in den nächsten Jahrzehnten besser wird.
„Wenn wir jetzt anfangen, können wir in zwei bis drei Generationen in einer wesentlich besseren Situation sein“, weist er auf die langfristige Dimension des Problems hin.
Ein Problem auch für Europa
Es stellt sich die Frage, wie eine EU funktionieren soll, wenn es im Norden Europas Wohlstand gibt, aber „bei uns, in Deutschland und Italien nichts da“ ist. Dies wird das Gleichgewicht der europäischen Wirtschaft massiv erschweren.
Im Bereich der Gesundheit ist Prävention ein großes Thema. Prävention für den zweitwichtigsten Bereich im Leben der Menschen stellt die Finanz- und Versicherungsbildung dar, kommt Treichl auf den Beginn seines Vortrags zurück. „Wenn wir das nicht haben, können wir keine Kapitalmarktkultur entwickeln.“
Die Medizin hat sich ein „unfassbar gutes Image“ erarbeitet. Auch die Finanzbranche muss es schaffen, die Bevölkerung hinter sich zu bringen und die Überzeugung zu schaffen, „dass wir uns um ihre finanzielle Gesundheit kümmern“, betont Treichl abschließend.